Florence Welch: Useless Magic. Keine Rezension.

Von der transformierenden Magie, neue Kunst mit der eigenen Seele zu verweben. Von Kunst, die zu groß für nur ein Medium ist. Vom Vertrautem in neuem Gewand.

Der Sog einer Hyperfixation

Mit Florence + The Machine ist es ein wenig wie mit Hozier (sagt das Internet ja schon lange …). Beide existierten jahrelang nur in der Peripherie meiner Wahrnehmung; ich kannte ein, zwei Hits, eine Handvoll anderer Song-Snippets durch Social Media und das wars. Wann immer ich versuchte (selten), bewusst tiefer reinzuhören, hörte ich sofort wieder damit auf, fand einfach keinen Zugang zu beiden.

Hozier hat sich mir dann über fast das gesamte vorletzte Jahr hinweg erschlossen, in betörender Langsamkeit, Einzel-Song für Einzel-Song.

Bei Florence ist es ein wenig anders. Zehn Tage nur hat es gebraucht.

„Girl With One Eye” war eines der wenigen Stücke, die mir ohne Gefühl für ‘seit wann’ ein Begriff waren, und ich beschloss Mitte März, es für den diesjährigen Showcase meines Polestudios auf die Bühne zu bringen. Und wie das manchmal so ist bei mir, geht so etwas nicht ohne komplette Immersion. Meine Haare wurden in drei Färbe-Schritten röter und röter, und ich hörte mich durch Florence’ Diskografie.

„You can make a shrine out of anything.”

– Florence Welch, „Useless Magic”, Preface

Und auf einmal war er da, der Zugang.

Weit, weit offen. Wollte ich nur zaghaft die Balkontüren einen Spalt öffnen, wurden sie mir von diesem Frühlingssturm aus der Hand gerissen, mit Wucht aufgestoßen, und wie ein Wirbelwind fegten Worte und Emotionen durch das Zimmer, wehten fort, worüber ich den unsäglichen Januar und Februar zu lange gebrütet hatte, legten frei, wonach zu suchen ich noch zu zögerlich war.

Ein bisschen wehrte ich mich noch. Ich habe letztes Jahr schmerzlich gelernt, Begeisterung und Leidenschaft nicht zu sehr ihre Haken in mich schlagen zu lassen, erst recht nicht für real exisiterende Personen hinter fiktionalen Geschichten. Ich wagte es kaum, dem Drang nachzugeben, über das bloße Hören der Musik hinaus über Florence Welch zu recherchieren.

Und dann tat ich es doch.

Fand mit „Useless Magic” sogar ein Buch. Holte es am nächsten Tag in meiner örtlichen Buchhandlung ab.

Dem Sog einer Hyperfixation lässt sich ja doch nicht widerstehen. 

„Useless Magic”

„Useless Magic” ist viel, viel mehr als eine reine Aufzählung von Song-Lyrics. Schon beim ersten Aufschlagen verlor ich mich im Blättern, ließ mich mal hierhin, mal dorthin treiben, durch Fragmente und Schnipsel, Worte, Zeichnungen, Handschrift, Kunst, Fotos. Ein Flow zum Drin-Versinken. Ein Buch, das man aufschlagen kann wie ein Orakel, wenn man das möchte.

Ein Buch, das sich fast zu privat anfühlt. Als hätte die Künstlerin ihren Sekretär geöffnet und seitenweise Kunst hätten sich über den Boden ergossen. Liegen jetzt vor unseren Füßen. Passenderweise habe ich „Useless Magic” selbst auf dem Boden liegend das erste Mal aufgeschlagen.

„As if the song is somehow speaking through me in its own language. And I am a conduit but totally oblivious to its wisdom.”

– Florence Welch, „Useless Magic”, Preface

Im Buch fand ich nicht nur The Lady of Shalott von John William Waterhouse, ein Bild, das in meiner ersten eigenen Wohnung als Print über meinem Bett hing. Auch Florence Welchs Hingabe an die eigene Kunst als etwas, das zwar tief aus ihr selbst kommt und gleichzeitig viel größer ist als sie selbst fühlt, sich vertraut an.

Strangeness & Charm

Ich bin nicht die einzige Geschichtenerzählerin, die von ihrem kreativen Schaffen spricht wie von einem lebendigen, atmenden Wesen. Nein, nicht vom Schaffen an sich – von den Ergebnissen dieses Prozesses. Er ist Handwerk, ja, viel Handwerk – aber er ist auch ein wenig mystisch, eine Art Kontrollverlust bzw. Kontrolle-Loslassen, die Augen schließen, die Arme ausbreiten und annehmen, was da kommt oder fließt oder erzählt werden will, geschrieben werden will, getippt und gekritzelt werden will, manchmal auch durch ein anderes Medium, in Tanz, in Bewegung, in jedem Moment des Zwischendrins, in Inszenierung, im Sich-einwickeln in Kreativsein als Identität. Die Haare röter und röter? Teil des Prozesses. Im Auto Texte mitbrüllen, als richtete man sie an die ganze Welt, während doch niemand da ist, der einen hören kann, hier auf der Autobahn …

In diesem reißenden Strom, in diesem mitreißenden Flow, in diesem Mäandern, da gehe ich nicht unter oder verloren – da bin ich überhaupt erst zuhause. Und auch wenn das gerade ziemlich destruktive Wasser-Metaphern waren („What the Water Gave Me” …), so ist mein Gefühl ein anderes. Wann immer der kreative Sturm durch meine Adern rauscht und in meinem Kopf alles schreit: „Make art, make art, make art!!!”, dann fühle ich mich, als hätte mein Gesicht gerade die Wasseroberfläche durchbrochen und ich kann wieder atmen.

„Useless” Magic? Ich glaube nicht, Florence. Ich glaube nicht.

Oh, wie habe ich die Bühne im April genossen! Welcome to my feral era.

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