Rose auf Balkon: über das Inspiriertsein im Alltag.
Ich bin gerade erst heimgekommen, vor nicht länger als einer Viertelstunde. Aber ich mag noch nicht das machen, was ich sonst immer mache, wenn ich gerade erst heimgekommen bin. Fernseher oder Musik an. Mich mit dem Tablet aufs Sofa werfen. Ich mag mich hinsetzen und schreiben, über das hier schreiben, über diesen Moment mit dem Post-it und der Rose.
Naja, ein wenig habe ich es schon gemacht – das, was ich immer mache, wenn ich heimkomme. Die Rollläden heruntergelassen. Im Wohnzimmer die Stehlampe an. Und eigentlich hätte ich danach das Licht im Flur aus- und es mir auf der Couch bequem gemacht. Vor dem Fernseher oder mit dem Tablet.
Doch während ich vor der schwarzen Kommode im Flur stehe und die Schlüssel wie üblich an ihren Platz lege, bringt mich etwas zum Innehalten. Die Stille der Wohnung. Die Gegenstände in meinem Blickfeld. Auf einmal klingt eine Saite in mir an. Vor mir, fast auf Augenhöhe, ein in graues Papier gewickeltes, längliches Päckchen. Auf dem Päckchen ein Post-it, mit Edding in Großbuchstaben daraufgekritzelt: „Rose auf Balkon!!“ Ja, mit zwei Ausrufezeichen, geformt wie schnelle Dreiecke. Hinter dem Päckchen die Barbarazweige in ihrer Vase, die bis heute noch nicht blühen, vier Filz-Eulen davon herabbaumelnd. Die zwei Weihnachtssterne, ihre Töpfe noch immer in Alufolie gewickelt. Schräg hinter mir auf dem Esstisch ein Heft, ein Zeitschriften-Dossier über Töchter. Daneben eine Flasche Zimt-Bodylotion.
Warum ich all diese an für sich wenig erwähnenswerten Dinge erwähne? Weil sie es sind, die diese Saite in mir anschlagen. Die sich mir in genau dieser Gesamtheit präsentieren wie ein Stilleben. Eines, das ein Vibrieren in mir auslöst – und etwas, das sich wie Neugier anfühlt. Der Impuls, die Geschichte dieser „Rose auf Balkon“ ergründen und erzählen zu wollen. Eine Unruhe, die sich erst wieder legt, wenn die Worte daußen und auf Papier sind.
Natürlich war ich es selbst, die alle diese Gegenstände dorthingelegt hat und ich kenne ihre Geschichte. Ich bin versucht, das Wort Geschichte an dieser Stelle sogar in Anführungszeichen zu setzen, denn sie ist denkbar profan. Die Rose plus Vase wurden mir mitgegeben, als ich von meinem Besuch heute Nachmittag wieder aufbrechen wollte. Weil eine langstielige Rose und eine ebenso langstielige, in graues Packpapier eingewickelte Vase in (m)einem Auto wesentlich besser transportiert werden können als auf einer Zugfahrt. Damit ich sie morgen dem Geburtstagskind überreichen kann, stellvertretend. Daheim habe ich die Rose auf den Balkon gelegt, weil das der Rat war, den ich zusammen mit Rose und Vase mit auf den Weg bekommen habe: „Leg die Rose am besten auf den Balkon, da bleibt sie frisch.“ Die eingewickelte Vase habe ich auf die Kommode im Flur gelegt, damit ich sie morgen nicht vergesse. Das Post-it – „Rose auf Balkon!!“ – habe ich in einem Anflug von Geistesgegenwärtigkeit schnell zusammengekritzelt und auf das Päckchen geklebt, damit ich wiederum die Rose nicht vergesse. Weil ich mich kenne.
Nichts davon ist spektakulär – und gut erzählt habe ich diese Aneinanderreihung von Umständen gerade ebenfalls nicht. Ich werde aus „Rose auf Balkon“ keine Kurzgeschichte schreiben und kein Stilleben malen. Es gibt keine Kurzgeschichte zu dieser Rose, es fällt mir auch keine ein. Ich könnte keine erfinden.
Dagegen sind es die Worte dieses Blogbeitrages, die sich in meinem Kopf formen und meine Finger unruhig werden lassen. Und ich sinniere darüber nach, was es war, das mich in diese Stimmung versetzt hat. In diese Kurzgeschichten-Stimmung. Ein Funke Inspiration, geboren aus einem Post-it auf einem Päckchen auf einer Kommode.
Ein Gefühl, das ich so gerne mag.
Wahrscheinlich war es der heutige Nachmittag bei zwei der großartigsten Menschen in meinem Leben. Mehrere Tassen Kaffee, ein Stück Kuchen. Auf dem Sofa in flauschige Decken gehüllt einen Film gucken. Ein Gläschen schottischer Whisky. Keine Verkrampftheit, kein Smalltalk, keine Zwänge. Nichts Unentspanntes. Nur Flow. Ein Flow, der nur allzu leicht kaputtgemacht würde, würde ich mich zu Hause sofort irgendeiner Form von Berieselung hingeben. Und auf einmal zünden Dinge, die normalerweise im Alltag wenig beachtet werden, einen Funken, den ich als Inspiration erkenne. Heute waren es eine Zeitschrift neben einer Körperlotion auf einem Tisch und ein Päckchen mit einem Post-it darauf auf einer Kommode.
Und auch wenn dieser Funke mich nicht dazu gebracht hat, mich hinzusetzen und eine neue Kurzgeschichte zu schreiben oder an meinem Roman zu plotten oder das nächste Kapitel anzugehen – er ist so unendlich wichtig. Das Inspiriertsein im Alltag. Drei Worte nur: „Rose auf Balkon“. Dass ich diese Momente erlebe, lässt mich alle Sorge ob meines langsamen Schreibtempos fallen lassen. Ob ich nicht doch aufgeben sollte, ob ich mich bei dem Projekt „Schriftstellerei“ nicht in etwas verrannt habe.
Und wie die Protagonistin am Ende meiner Kurzgeschichte „Flow“ (in der es um etwas ganz anderes geht) tue ich nichts weiter, als das Gefühl zu genießen. Das Gefühl des Inspiriertseins im Alltag.
mannomann, wie schön!! Wie beseelt und inspiriert – und ich weiß GENAU, welchen Zustand du da beschreibst, und es ist ganz ohne Belang, dass aus disem Zustand nicht gleich ein unmittelbares „Resultat“ hervor geht, dass er nicht in einer Geschichte mündet. Wichtig ist, dass es solche Seelenzustände der Inspitation und des Gegenwärtigseins gibt; für die Kreativen der Welt dürfte er die von CF benannten essentiellen 5% liefern, und den Ottonormallebendigen spendiert er Glanz und Würze im Alltag. Auch ich bin ja insgeheim nahezu süchtig nach diesem sonderbar geheimnisvollen Wohlsein, das sich weder herstellen, noch wirklich teilen lässt; man kann es eigentlich nur so still für sich voll und ganz auskosten, oder? Aber man hat immer so das BEDÜRFNIS, diesen Zustand zu teilen, und da sind so ein paar Seelenverwandte im Orbit ganz gut; die wissen, wovon du redest!
Dass nun grade Lisa dich bei gerade dieser Gelegenheit dich für den Liebster-Award nominiert hat (ohne allzu tief in die Recherche eingestiegen zu sein, scheint mit dahinter eine gute Idee zu stecken – also: well done, Lisa!), spricht in diesem Sinne für sich – oddr??
(P.S. und es war ein ungläubiges Staunen dabei, zu all dem auch noch die Zusammenhänge der beschriebenen Inspiration zu erkennen…jetzt hätte ICH hier gerne ein paar Herzchen zur Verfügung…!)
Liebe Lily,
ja, diese kleinen Inspirationen im Alltag sind etwas Wunderbares! Ich würde sie nicht aufgeben wollen. Hoffentlich können wir uns das lange erhalten. Von einigen Leuten hört man auch immer wieder, dass sie keine Inspirationsquelle fänden. Eine große Angst vieler Künstler, würde ich meinen. Momentan kann ich mir glücklicherweise nicht vorstellen, ihr zu verfallen. 😉
Ich habe dich übrigens für den Liebster-Award nominiert. Für weitere Informationen bitte hier klicken: http://bit.ly/1WBbGVr
Liebe Grüße
Lisa